Donnerstag, 12. Oktober 2017

Great Women # 117: Edith Stein


Nach meiner Hüft - Operation konnte ich bei meinen ersten Laufversuchen im Stationsflur im 4. Stock das Panorama des mittelalterlichen Kölner Stadtkerns mit seinen vielen, vielen Türmen genießen ( nicht mehr so viele wie im Mittelalter: da waren es so viele, wie das Jahr Tage hat, so heißt es ). Einen Kirchturm - für Köln sehr untypisch, nämlich mit einer barocken Turmhaube - konnte ich nicht identifizieren, denn dort war ich wohl noch nie gewesen. Meine Neugier war geweckt. Und Google sei dank, war sie bald identifiziert als "St. Maria vom Frieden", der heutigen Klosterkirche der Karmelitinnen in Köln. Das bekannteste Mitglied dieses Konvents war bis zu ihrer Flucht Edith Stein, mit deren spannender Lebensgeschichte ich mich anschließend beschäftigt habe und an die ich heute aus Anlass ihres 126. Geburtstages an dieser Stelle erinnere.

Am 12. Oktober 1891 also kommt Edith Stein in Breslau als elftes Kind ( vier davon sind im Kindesalter gestorben ) einer jüdisch - orthodoxen Kaufmannsfamilie auf die Welt. 

1895
1890 war die Familie in die Stadt gezogen, um wirtschaftlich voranzukommen, ein eigenes Holzhandelsgeschäft zu begründen und den ältesten Kindern den Besuch eines Gymnasiums zu ermöglichen. Der Vater, Siegfried Stein, stirbt im Juli 1893 an einem "Hitzschlag". Die streng gläubige Mutter - Auguste Courant - beschließt daraufhin, sich auf eigene Füße zu stellen und das Geschäft alleine weiter zu führen. Das tut sie mit Unterstützung des ältesten Sohnes so erfolgreich, dass sie die Schulden des Vaters tilgen und ihren Kindern, auch der Jüngsten, eine gute Ausbildung finanzieren kann. Sie gilt als "der tüchtigste Kaufmann in der ganzen Branche" ( Quelle hier ).

Mit Schwester Erna (1899)
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Edith wächst als Nesthäkchen zusammen mit der nur zwanzig Monate älteren Schwester Erna unter den Augen der älteren Schwestern auf. Edith gilt schon als Kind als lebhaft, eigenwillig bis zornig & wissbegierig - "ein Buch mit sieben Siegeln" - und fühlt sich in der Schule heimischer als zu Hause. Sie ist von sich überzeugt und fühlt sich zu etwas Großem berufen. "Die erste große Umwandlung vollzog sich in mir, als ich etwa 7 Jahre alt war. Ich wüßte keine äußere Ursache zu nennen. Ich kann es nicht anders erklären, als daß damals die Vernunft in mir zur Herrschaft kam." ( Quelle hier )

Am gesetzestreuen Glauben der Mutter beginnt sie bereits als 14-jährige zu zweifeln, und sie sagt später über diese Phase ihrer Entwicklung: "Ich habe mir das Beten ganz bewußt und aus freiem Entschluß abgewöhnt." Sie versteht sich selbst als Atheistin. 1906 beendet sie das zehnjährige Lyzeum in Breslau vorzeitig, um fast ein Jahr lang ihre älteste Schwester Else Gordon in Hamburg, die zwei Kinder hat, zu unterstützen. Anschließend kann sie dieses Schuljahr überspringen und ihre schulische Ausbildung mit der 11. Klasse fortsetzen.

Nach ihrem Abitur 1911 an der Victoriaschule in Breslau ( mit Auszeichnung ) beginnt sie in ihrer Heimatstadt zu studieren - zu einer Zeit, als Frauen in Preußen gerade seit drei Jahren zum Universitätsstudium zugelassen und nur widerwillig aufgenommen worden sind ( vergleiche auch diesen Post ). Frau erinnere sich noch an den Ausspruch des allseits bewunderten & anerkannten Max Planck: "Amazonen sind auch auf geistigem Gebiet naturwidrig."

Es bedarf eines ausgeprägten Selbstbewusstseins, um sich in dieser Männerdomäne nicht entmutigen zu lassen. Doch Edith lässt sich nicht ausbremsen, schon gar nicht von Menschen, die sie nicht respektieren.

Ihre Mutter sähe es lieber, wenn ihr Studium auf ein Lehramt ausgerichtet wäre, doch Edith zieht die Wissenschaft vor. Nur zur Beruhigung der Familie belegt sie die Fächerkombination Germanistik, Geschichte, Latein und Philosophie. 

Ihre Doktorarbeit, zu der sie sich schon nach fünf Semestern anmeldet, will sie in Psychologie schreiben. "Wir sind auf der Welt, um der Menschheit zu dienen. Das kann man am besten, wenn man das tut, wozu man die geeigneten Anlagen mitbringt", meint sie. Von der Psychologie erhofft sie sich Kenntnisse über das Wesen des Menschen, über sein geistiges und seelisches Leben. Klare Begriffe und sichere wissenschaftstheoretische Grundlagen sind ihr Ziel, doch das Fach steckt damals noch in den Kinderschuhen.

Während der Breslauer Studienjahre bewegt sich Edith unter älteren, reiferen und wissenschaftlich fortgeschritteneren Kommilitonen- sie gehört mehreren akademischen Vereinigungen an -, die ihr viel Anregung und Förderung bieten, aber auch zu einer persönlichen Selbstüberschätzung der jungen Studentin beitragen, die sie später kritisch sehen wird, weil sie "übersprang manche Grundlagen, die mir nötig gewesen wären."

"Die ständige Anspannung aller Kräfte erweckte das beglückende Gefühl eines hochgesteigerten Lebens, ich erschien mir als ein reiches und bevorzugtes Geschöpf", so erinnert sie sich später an jene studentischen Anfangsjahre.
1913
"Vier Semester hatte ich an der Universität Breslau studiert. Ich hatte am Leben dieser „alma mater“ wie wohl nur wenige Studenten teilgenommen und es mochte scheinen, als sei ich so mit ihr verwachsen, daß ich mich nicht freiwillig von ihr trennen würde. Aber hier wie später noch oft im Leben konnte ich die scheinbar festesten Bande mit einer leichten Bewegung abstreifen und davonfliegen wie ein Vogel, der der Schlinge entronnen ist. Ich hatte es immer vorgehabt, einmal an einer andern Universität zu studieren." ( Quelle hier )
Durch eine Zeitungsnotiz ist Edith Stein auf den Namen von Edmund Husserl, dem Begründer der Phänomenologie, der in Göttingen lehrt, gestoßen. Seine Methode des Denkens, seine universale Sinn- und Bedeutungsforschung, ist das Thema in ihrer akademischen Welt. Und so macht sich die 21jährige also 1913 zum Studium der Philosophie auf nach Göttingen...

Edmund Husserl
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In jenem Sommer hält Husserl - übrigens auch von Geburt an Jude, aber zum Protestantismus übergetreten - eine Vorlesung über "Natur und Geist", bei der es um die Grundlagen der Natur und Geisteswissenschaften geht. Kühn, wie Edith nunmal ist, geht sie sofort zum einmal wöchentlichen Treffen der "Philosophischen Gesellschaft" Göttingens. Ihre anderen Fächer sollen aber auch nicht vernachlässigt werden. Doch am Ende des ersten Göttinger Semesters nimmt sie von ihrer geplanten Doktorarbeit im Fach Psychologie in Breslau Abstand und trägt Husserl den Wunsch nach einer Doktorarbeit vor. Der macht es ihr nicht gerade leicht, und Edith auferlegt sich ein straffes Studienprogramm, um das Staatsexamen und die Dissertation ( in knappster Zeit ) zu schaffen.

1915 legt sie dieses Staatsexamen in philosophischer Propädeutik, Geschichte und Deutsch ab - die Dissertation muss warten, denn die "Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts, der Erste Weltkrieg, unterbricht ihre Studien. Sie meldet sich beim Roten Kreuz in Breslau, um freiwillig Lazarettdienst zu tun, und lernt dort Tod und menschliches Leid kennen. 

Eine eigene Erkrankung bringt sie an die Universität zurück, und sie kann ihre Doktorarbeit "Zum Problem der Einfühlung", in der sie erläutert, wie das Erleben eines fremden Subjektes vermittelt wird, bereits 1916 beenden, parallel zu ihrem Referendariat in Breslau. Ihrem Professor leistet sie damit Hebammendienste, denn Edith erklärt mit dieser Arbeit den Begriff der Einfühlung, den Husserl selbst bisher in seiner Arbeit noch nicht definiert hat. Ihr Ergebnis bewertet er mit summa cum laude.  Seine Doktorandin strebt nun für sich die Habilitation an. 

Das ist in jener Zeit aber unmöglich ( vergleiche auch diesendiesen Post), und Husserl verweigert ihr dies auch, beschäftigt Edith aber als seine Privatassistentin und nimmt sie mit nach Freiburg, wohin er berufen wird. Doch es wird keine Zusammenarbeit auf Augenhöhe daraus, wie sie es sich erhofft hat. Stattdessen ist sie eine bessere Schreibkraft, die Ordnung und System in die – mit Gabelsberger Kurzschrift bekritzelte – Zettelwirtschaft des angesehenen, aber chaotischen Gelehrten bringt.

Schlimmer noch: Husserl hintertreibt die akademische Karriere der Edith Stein mit allen Mitteln, denn 1919 ermöglicht die Weimarer Verfassung eigentlich die Habilitation auch für Frauen. Vier Anläufe wird Edith dazu unternehmen: in Göttingen, Freiburg, Breslau und Kiel. Husserl ist der Auffassung, die Aufgabe der Frau seien das Heim und die Ehe...

Edith hingegen ist den Idealen der Frauenbewegung gegenüber sehr aufgeschlossen, schon 1918 der von Friedrich Naumann gegründeten Deutschen Demokratischen Partei (DDP) beigetreten und hat eine weibliche Anthropologie entwickelt, die dem Weiblichen ( im Gegensatz zur männlichen ) eine auf Ganzheit strebende Erkenntnisweise zuordnet. Ihre Auffassung von der Rolle der Frau formuliert sie so:
"Es gibt keinen Beruf, der nicht von einer Frau ausgeübt werden könnte. Keine Frau ist ja nur Frau, jede hat ihre individuelle Eigenart und Anlage so gut wie der Mann und in dieser Anlage die Befähigung zu dieser oder jener Berufstätigkeit künstlerischer, wissenschaftlicher oder technischer Art."
Die Zeit von 1917 bis 1921 sind für Edith Stein persönlich Jahre der Krise, die ihr Leben einschneidend verändern werden: Da sind einmal die gescheiterten Habilitationsversuche, der Tod ihres zweitwichtigsten Göttinger Professors Adolf Reinach, der als Kriegsfreiwilliger in Belgien fällt, aber vor allem auch zwei unglückliche Lieben zu ihren Philosophenfreunden Roman Ingarden und Hans Lipps, die ihr zusetzen.
"Man hat lange Zeit gar nicht gewusst, dass Edith Stein in ihrer Jugend eine Beziehung zu zwei Männern gehabt hat, nacheinander. In beiden Fällen war es so, dass Edith Stein eigentlich gerne eine Ehe angestrebt hätte. In beiden ist sie sehr stark brüskiert worden. Man hat ihre Kameradschaft, ihre Klugheit, gesucht, aber dann sie als Frau zurückgewiesen. Sie war natürlich leer, enttäuscht, ausgebrannt. "Totenstille" hat sie das genannt. Es ist eher so, dass sie dann über die Entdeckung Gottes eine Form von "Heilung" erfahren hat, die ihr sehr geholfen hat", so Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz in ihrem Buch zu Edith Stein.
1928
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Schon die Studienjahre in Göttingen haben Edith die Welt der Religion von Neuem in den Blick gerückt. Nun hilft ihr der christliche Glaube ihr berufliches Scheitern und die unerwiderte Liebe zu verarbeiten. In einem Brief an Roman Imgarden nennt sie ihren Weg ins Christentum eine "Wiedergeburt aus Zerstörung".

1921 entscheidet sie sich nach der Lektüre der Biographie der heiligen Teresa von Avila im Hause der Studienfreundin Hedwig Conrad-Martius in Bergzabern in der Pfalz endgültig für den katholischen Glauben. Am 1. Januar 1922 lässt sie sich dort auf den neuen Namen Teresia taufen  und empfängt die erste heilige Kommunion. Ganz bewusst trifft sie die Entscheidung, dass dies an einem Feiertag geschieht, dem "Fest der Beschneidung des Herrn", um ihre jüdische Herkunft mit der neuen Religion zu verbinden. 

Auf den Eintritt in ein Kloster verzichtet sie erst einmal aus Rücksicht auf ihre Mutter. Stattdessen arbeitet sie als Lehrerin für Deutsch und Geschichte am Mädchenlyzeum und der Lehrerinnenausbildungsanstalt der Dominikanerinnen von St. Magdalena in Speyer, wo sie auch am 2. Februar gefirmt wird. Privat hält sie philosophische Kurse und gibt Vorlesungen an der Volkshochschule. Als Rednerin und Schriftstellerin engagiert sie sich in den großen katholischen Verbänden und fährt zu Vorträgen in Deutschland, der Schweiz & Österreich sowie Frankreich und hält ebensolche im Rundfunk.

1931 unternimmt sie einen erneuten Habilitationsversuch mit der Abhandlung "Potenz und Akt", der wiederum scheitert. 1932 dann geht sie als Dozentin an das Institut für wissenschaftliche Pädagogik in Münster, wo sie Vorlesungen in Pädagogik, Psychologie und Philosophie hält. Dort wird sie nach der Machtergreifung der Nazis als "Nicht-Arierin" klassifiziert, so dass sie am 20. April 1933 dem öffentlichen Druck nachgibt & die Beendigung ihrer Dozententätigkeit in Münster verkündet. 

Aus dieser Zeit stammt ein Brief, den sie an Papst Pius XI., mit der Bitte richtet, sich öffentlich gegen die Judenverfolgung zu äußern:
"… Alles, was geschehen ist, und noch täglich geschieht, geht von einer Regierung aus, die sich "christlich" nennt. Seit Wochen warten und hoffen nicht nur die Juden, sondern Tausende treuer Katholiken in Deutschland – und ich denke, in der ganzen Welt – darauf, daß die Kirche Christi Ihre Stimme erhebe, um diesem Mißbrauch des Namens Christi Einhalt zu tun. (…) Wir alle, die treue Kinder der Kirche sind und die Verhältnisse in Deutschland mit offenen Augen betrachten, fürchten das Schlimmste für das Ansehen der Kirche, wenn das Schweigen noch länger anhält.“
Eine direkte Antwort aus dem Vatikan erhält sie nicht, nur die Bestätigung, dass der Brief pflichtgemäß dem Papst vorgelegt worden sei...

Die Ereignisse beschleunigen, dass Edith den schon lang gereiften Entschluss endlich umsetzt, die Nachfolge Teresa von Avilas anzutreten. Sie nimmt Kontakt zum Kölner Karmel auf, der ihr alsbald einen positiven Bescheid gibt. Am 14. Juli kann sie dort erst einmal Wohnung im Gästezimmer nehmen. Und nach der Verabschiedung von der Familie in Breslau tritt sie am 15. Oktober, 42jährig, als Postulantin in das Kloster ein.

Als Ordensnamen wählt sie für sich "Teresia Benedicta a Cruce" aus. An den Tagesablauf zwischen Gebet und Hausarbeit passt sich im Kloster an, bleibt aber auch ihren intellektuellen Neigungen treu und arbeitet weiter an ihrem philosophischen Werk, besonders intensiv an ihrem eigentlichen Hauptwerk "Endliches und ewiges Sein" (1936).

1936 stirbt die Mutter in Breslau, und Ediths ältere Schwester Rosa lässt sich ebenfalls taufen, lebt ab da als Terziarin im Karmel und betreut dort die Pforte.

Edith Stein
mit Schwester Rosa in Echt (1939)
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Um den Kölner Karmel zu schützen, flieht Edith Stein nach den Pogromen des 9. Novembers 1938 – nur acht Monate, nachdem sie das ewige Gelübde abgelegt hat – mit ihrer Schwester Rosa in den Karmel im niederländischen Echt. Anhand der Schriften von Johannes vom Kreuz, einem Mystiker des 16. Jahrhunderts ( "Verachte alles, besitze nichts!" ) entwickelt sie dort ihre letzte Schrift "Kreuzeswissenschaft". 

Das Kreuz wird für sie zum Zeichen dafür, wie der Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt durchbrochen werden kann, die Kreuzesnachfolge zu einer Möglichkeit, in ihrem eigenen Leben jüdische Wurzeln und christliches Credo zu verbinden.

Als während der deutschen Besatzung der Niederlande die Deportation von Juden beginnt, wenden sich katholische, protestantische und calvinistische Vertreter des Landes an den Reichskommissar Arthur Seyß-Inquart, und bitten darum, dies einzustellen und insbesondere die getauften Juden zu verschonen. 

Seyß-Inquart will unter der Bedingung darauf eingehen,  dass die Kirchen der Niederlande auf Proteste von der Kanzel verzichten. Doch der katholische Erzbischof von Utrecht, Johannes de Jong, veröffentlicht am 26. Juli 1942 einen Hirtenbrief gegen das Vorgehen der Deutschen gegen die Juden. Als Reaktion darauf werden 244 zum Katholizismus konvertierte ehemalige Juden, darunter auch Edith und Rosa Stein, am 2. August 1942 von der Gestapo verhaftet und in das Durchgangslager Westerbork verbracht. Als sie und ihre Schwester Rosa von der Gestapo abgeholt werden, sagt Edith zu ihrer Schwester: "Komm, wir gehen für unser Volk."

Von Westerbork werden die beiden Schwestern Stein am 7. August mit der Reichsbahn in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort am 9. August 1942 in der Gaskammer ermordet. Das letzte Lebenszeichen Edith Steins stammt vom Bahnhof Schifferstadt, wo der Transport am 7. August gegen 13 Uhr kurz hält. ( Erst 25 Jahre später steht der für Edith Steins Transport nach Auschwitz Verantwortliche zwei Mal vor Gericht und wird jeweils zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt, beide Male jedoch frühzeitig wieder begnadigt. )

Eigentlich sollten Edith und Rosa Stein in den Schweizer Karmel Le Pâquier in Sicherheit gebracht werden. Doch der Konvent von Le Pâquier hat die Gefährdung nicht klar genug erkannt und zu viel Zeit mit der Beschaffung der notwendigen Dokumente und der Unterkünfte verstreichen lassen. Es wird aber auch berichtet, dass Edith Stein eine privilegierte Rettung für sich selbst abgelehnt hat.

Am 1.5.1987 wird Edith Stein als erste Katholikin jüdischer Abstammung selig und am 11.10.1998 heilig gesprochen. Ein Jahr später wird sie zur Mitpatronin Europas ernannt. In Köln ist Edith Stein durch eine Figur von Paul Nagel im vierten Obergeschoss auf der Nordseite des Rathausturmes verewigt und eine Tafel an der Dürener Straße erinnert an sie. In der Walhalla ist eine von Johann Brunner geschaffene Marmorbüste Edith Steins aufgestellt.

Gedenkplakette
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Umstritten ist immer wieder Edith Steins Beziehung zum Judentum. Da ist einmal ihre Deutung der Judenverfolgung im Dritten Reich als "Teilhabe am Kreuz Christi". Und andererseits ihre Deutung des eigenen Todes als Sühneopfer für den "Unglauben" der Juden. Die Religionswissenschaftlerin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz meint dazu:
"Es ist nicht der Unglaube eines Judentums gemeint, das selber von Edith Stein als ganz deutliche Glaubenshaltung aufgenommen ist. Sie hat auch ihrer eigenen Mutter nie einen Unglauben unterstellt, im Gegenteil: Mit Unglauben meint sie einzig den Unglauben an die Gestalt Jesu. Es wäre Edith Stein im Leben und im Traum nicht eingefallen, das Judentum als Unglauben zu bezeichnen."
Von jüdischer Seite wiederum gibt es Kritik an ihrer Heiligsprechung, denn das kann man auch als christliche Vereinnahmung des jüdischen Schicksals der Shoa wahrnehmen - ich sehe in ihr eine Frau, die als Jüdin und Christin, Wissenschaftlerin und Lehrerin, kontemplative Denkerin und Opfer der Nazigewalt eine Lebensgeschichte "geschrieben" hat, die nicht vergessen werden sollte und für die ganze Vielfalt unserer Kultur und unseres Landes steht.






Wir lesen uns heute am Spätachmittag bei "12 von 12"...

16 Kommentare:

  1. Danke für die diese Kurzbiografie der klugen Edith Stein. Religion, Kirche und Politik sind ein ewiges Thema. Und es hat oft dramatische Auswirkungen, die uns in der säkularen Gesellschaft meist gar nicht so bewusst sind und auch heute noch gern unterschätzt werden.
    Edith Stein ist aber auch noch dazu an den Männern ihrer Zeit - bis hin zum Papst - gescheitert.
    Ihre Heiligsprechung hinterlässt bei mir einen schalen Geschmack.
    GLG Sieglinde

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  2. mich macht es einfach wieder fassungslos, wie ein leben was so mutig, voller kampfgeist und aufbruchsstimmung war, so brutal und unwürdig vom naziregime beendet wurde. ich lese gerne deine posts unter GREAT WOMEN mit. oft kommentiere ich nicht, aber heute war es mir einfach wieder ein bedürfnis. vielleicht auch noch unter dem eindruck des letzten wahlergebnisses. liebe grüße zu dir, sabine

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  3. Vielen Dank für diesen wieder sehr informativen und aufschlussreichen Post.
    Schlimm was man den Frauen früher angetan, nur weil sie vielleicht schlauer als die Männer selber waren. Man sollte das schwererkämpfte Wahlrecht für Frauen auch nicht so einfach wegwerfen, was leider viele tun.
    Einen lieben Gruß Sylvia

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  4. Liebe Astrid,
    wieder eine beeindruckende Biografie. Mir war Edith Stein nicht bekannt.
    Sehr gewundert hat mich der Ausspruch von Max Planck, dem hatte ich doch definitiv mehr Einsicht zugetraut. Schon verwunderlich wie sich große Leistungen, und die hat Planck auf dem Gebiet der Physik erbracht, mit ebenso großen Fehlleistungen paaren.

    Viele liebe Grüße
    Wolfgang

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  5. Liebe Astrid, hab Dank, das war wieder eine wunderbare Lebensbeschreibung.
    Wenn "heilig" sein heißt, aufrecht und authentisch seinen Weg zu gehen und damit Mitmenschen und Nachwelt zu inspirieren, bin ich sehr einverstanden mit dem Begriff. Diese Frau kann uns wirklich ein Vorbild sein. Ganz im Gegensatz zu irgendwelchen "Heiligen", die aufgrund irgendwelcher Stiftungen oder aufgrund ihres hohen Adels von korrupten Päpsten zu Heiligen erklärt wurden.
    Abgesehen davon ist ja für mich Leben in jeglicher Form heilig und bedarf keiner päpstlichen Kongregation und Heiligsprechung. Denn es ist größer als diese Herren.
    Lieben Lisagruss!

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  6. Wie interessant. Edith Stein habe ich bereits gehört, aber welche Person dahinter steckte nicht erkannt. Was für ein Leben und da sieht man wieder Recht haben und Recht bekommen (in Bezug auf Ihre Habilitation) ist nicht das Selbe. Ein kleiner Dreher ist mir aufgefalle, der Vater verstarb sicher 1893. ;-)) (oder war es ein Test, ob aufmerksam gelesen wird). Vielen Dank dafür! Ich interessiere mich mehr und mehr für Biografien, das sind die wahren teils unglaubhaften, weil so erdacht diese nie sein könnten, Geschichten! Lieben Gruß

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  7. Mit dem Leben von Edith Stein habe ich mich vor einigen Jahren auch mal beschäftigt. Sie war eine ausgeprägte Persönichkeit. Ihr Leben stand unter der Spannung von Ggensätzen und galt immer dem Bemühen um eine Verbindung zwischen Judentum und Christentum, zwischen Religion und Philosophie, tätiger Nächstenliebe und erlebtem tiefen Glauben.
    Ja, die Enzyklika jeden die Judenverfolgung...vergeblich... durch das Reichskonkordat 1933 hatte die NSDAP geschickt eingefädelt, dass sie die Kirche vorerst) nicht gegen sich hatte... später erschien die bekannte Enzyklika "Mit brennender Sorge" (1937), also vor 80 Jahren. In diesem kirchlichen Rundbrief ging es allerdings mehr um kircheninterene Dinge, Verbot des Religionsunterrichts usw. Es wird noch erforscht, warum die Enzyklika sich nicht gegen die Verbrechen der Nazis gewandt haben.
    Edtih Stein hatte nie aufgehört sich dem jüdischen Volk zugehörig zu fühlen. Ihre Heiligsprechung seites der katholischen Kirche zeigt für mich (als gläubige Katholikin) die besondere Verehrung, so eine Art würdiges Andenken an eine besondere intellktuelle und starke Frau die von den Nazis wegen ihrem Glauben ermordert wurde.
    Danke für diesen Post.
    LG Marita

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    1. Entschuldigung wegen der vielen Rechtschreibfehler! Es sind zwar Flüchtigkeitsfehler, müssen aber wirklich nicht sein, erschweren sie doch das Lesen sehr... ich gelobe Besserung!

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    2. No hard feelings!
      Bin außerdem Lehrerin a.D., gehört also nicht mehr zu meinen Aufgaben.
      GLG

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  8. Das ist ja heute wieder mal höchst interessant! Besonders, weil meine jüngste Tochter in die Edith-Stein-Schule geht! :-)
    Danke für diese ganzen Infos!
    Lieben Gruß
    Gisi

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  9. Liebe Astrid,
    danke für das Portrait von Edith Stein.
    Einfach unglaublich wie lange Frauen benachteiligt wurden.
    herzlich Margot

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  10. Deinen tollen Beitrag habe ich auf dem Smartphone in den Bergen sofort gelesen und sehr genossen (sonst habe ich so gut wie keine Blogs gelesen...)
    Liebe Grüße
    Andrea

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  11. Dass Du diese Frau ausgesucht hast, freut mich ganz besonders. Ich war schon als junges Mädchen sehr von ihr beeindruckt.
    LG
    Magdalena

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  12. Zeitgleich zu diesem Post war ich in Speyer... Am Kloster kam ich nur vorbei zu Zeiten, als man nicht hineinkonnte, sonst wäre ich sicher in dem von ihr bewohnten Zimmerchen gelandet, das heute Andachtsraum ist. Das Heilige, es beschäftigt mich. Danke für diesen Post. Und wie gut, dass ich in einer novembrig-grauen "KeineLustAufNix"-Phase heute hier gefunden habe, hat mir gut hinübergeholfen ;-) Liebe Grüße Ghislana

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  13. Victor Wischel05.02.2018, 15:37:00

    Bei meinen Recherchen zur Lebensgeschichte einer anderen sehr interessanten Frau des vergangenen Jahrhunderts,Gerda Walther,bin ich (dank Google)auf Ihren Blog gestoßen und hier zur Lebensgeschichte von Edith Stein. Gerda Walther hat in Freiburg auch bei Husserl studiert und später zusammen mit Edith Stein bei ihm gearbeitet. Beide hatten ein sehr freundschaftliches Verhältnis zueinander, da Gerda Walther nur durch Edith Steins Fürsprache als Studentin bei Husserl aufgenommen wurde. Gerda Walther hatte auf Husserls Frage nach ihrem Berufswunsch mit "sozialistische Agitatorin" geantwortet und ihn damit vor den Kopf gestoßen. Edith Stein nahm sie dann in ihren "Philosophischen Kindergarten" auf und vermittelte sie so in Husserls Vorlesungen. Jahre später, als sich Gerda Walther nach ihrer Promotion bei Husserls um eine Habilitätion bemühte verwehrte er ihr diese mit dem Hinweis, dass er auch Edith Stein nicht zugelasse habe, da die Frau für Familie und Heim zuständig sei.
    Gerda Walther war die Tochter von Otto Walther, der im Schwarzwald nach den Sozialistengesetzen eine sehr fortschrittliche Lungenheilanstalt gegründet hatte, ihre Mutter war die Tochter des ersten Friedensnobelpreisträgers Fredrik Bajer. August Bebel, Rosa Luxemburg, Klara Zetkin und viele andere soziademokratische Persönlichkeiten gehörten zum engsten Freundeskreis der Familie. Gerda Walther hat unzählige psyhologische, parapsychologische und philosophische Artikel in den damalige Fachzeitschriften veröffentlicht und auch mit dem Buch "Phänomenologie der Mystik" und ihren Lebenserinnerungen,"Zum Anderen Ufer, vom Atheismus und Marxisms zum Christentum" zwei größere Werke veröffentlicht.
    Gerda Walther wäre sicherlich eine würdige Vertreterin in Ihrem Blog "Great Women"
    Es grüßt Sie freundlich aus dem Schwarzwald
    Victor Witschel

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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